Ausstellungseröffnung von Tone Fink in Saalfelden 10.2. 2012

Sehr geehrter Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude, die Ausstellungen des Künstlers Tone Fink eröffnen zu dürfen, mit dem ich schon seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden bin. Ich brauche wohl nicht eigens hervorzuheben, daß Tone Fink zu den Großen der österreichischem Kunstszene gehört und sich als Zeichner, Maler, Objektmacher, Performance- und Filmkünstler einen Namen gemacht hat. Zahllose Ausstellungen, Bücher von und über ihn sowie verschiedene Auszeichnungen, zu denen die in Kürze stattfindende Ernennung zum Professor zählt, zeugen von der großen Anerkennung, die man Tone Fink hierzulande zollt.

Lassen sich mich mit einigen Worten über seine Biographie beginnen, denn sein Lebensweg ist nicht unbedeutend für das Verständnis seiner Kunst.

Kurz vor Kriegsende in Schwarzenberg bei Bregenz geboren, waren seine Kindheitsjahre von Armut und Entsagung geprägt. Hinzu kamen die provinzielle Abgeschiedenheit und die engen religiösen Strukturen, die den sensiblen, schüchternen und zartgliedrigen Knaben bedrückt haben. In dieser schweren Zeit hat sich seine Mutter aufopfernd um ihn gekümmert. Doch es gab auch eine andere Seite. Die Schönheit der Natur und der Tierwelt, das lebendige Brauchtum, die Einfachheit und Geradlinigkeit der Menschen führten bei ihm zu einer tiefen Verwurzelung mit dem Gebiet des Bregenzerwaldes. Diese Verbindung ist bis heute nicht abgebrochen, denn der Künstler lebt und arbeitet abwechselnd in seinen Ateliers in Wien und im Vorarlberg. Sein Vater war Huf- und Wagenschmied, sein Onkel Wagner, und so ist auch bei Tone Fink das Künstlerische entscheidend mit dem Manuellen verbunden. Seine Objekte sollen in die Hand genommen, auf ihre Funktionstüchtigkeit hin geprüft werden. Die von ihm fabrizierten Wagen und Karren erinnern in ihrer einfachen geometrischen Form an bäuerliche Geräte mit simpler Mechanik. Der Künstler überzieht sie mit einer schrundigen Papierhaut, die nicht selten an Rost oder die Abnutzungserscheinungen solcher landwirtschaftlicher Geräte erinnern, die jahrelang in Gebrauch und Wind und Wetter ausgesetzt waren.

Nicht weniger bedeutend war, daß seine Mutter genäht und Trachten verfertigt hat, denn Tone Fink stellt selber phantasievolle Masken und Gewänder aus Papier her und bezieht sie in seine Performances ein (Verweis auf Zeichnung die Trachtengängerin). Und die Verzierungen derartiger Trachten sowie das im Volkstum lebendige Ornament haben wesentlich zu seiner Neigung zum Dekorativen in seiner Kunst beigetragen. Tone Fink schafft überaus erfolgreich Entwürfe für bedruckte Stoffe, die in große Auflagen in Fabriken hergestellt werden. Dabei haben diese Muster immer den Charakter des Handschriftlichen, was wiederum seinen Bezug zum kunsthandwerklichen Brauchtum seiner Heimat hat.

Bereits in der Schule fiel den Lehrern die Begabung des Kindes auf, die ihn naturalistische Motive auf die Schiefertafel zeichnen ließen. Später in der Lehrerbildungsanstalt findet Tone zu seinem Talent zurück, Kunst wird zu seinem Lieblingsfach. Seine Ausbildung zum Lehrer erzieht ihn einerseits zu einer gewissen Disziplinierung in der künstlerischen Tätigkeit, und andererseits entdeckt er dadurch die eigene pädagogischen Fähigkeiten. Noch heute unterrichtet Tone Fink immer wieder auf Sommerakademien und ist ein gefragter und beliebter Dozent. Es war ein großer Schritt, ein Befreiungsschlag, als er 1963 aus der provinziellen Enge ausbrach und nach Wien übersiedelte. Durch seinen Unterricht an der Akademie bei Max Weiler und später bei Max Melcher erarbeitete er sich die Grundlagen für seine spätere graphische Kunst. Denn Tone Fink ist in erster Linie ein Zeichner und Papierkünstler. Er erzählte mir, wie er durch Max Weiler zu dem härtesten Bleistift überhaupt, den Stift 8H kam. Gerade durch die Schulung Max Weilers bekam seine Linienführung Feinheit, Schärfe und Präzision. Zugleich erhielt sie Freiheit, Spontaneität und Variabilität und befreite sich von der reinen Objektbeschreibung.

Gerade in seinen frühen Werken mit naturalistischen Motiven spürt man diese Drang nach Befreiung von aller akademischen Strenge. Man findet lange, flirrende, dynamisch über das Papier surrende Linien, die sich allmählich zu Strichknäueln verdichten und von Kritzeleien begleitetet werden. Diese expressive Linearität ist aber nur vordergründig wirr und wahllos. Die Linien fügen sich vielmehr schrittweise zu gegenständlichen Motiven zusammen, streben zielgerichtet auf die Formwerdung hin. Tone Finks ist in der Verwendung der Zeichenmaterialien äußerst vielseitig: er greift zu Bleistift, Buntstift, Wachsmalkreide, Kuli oder dem Aquarell und kombiniert die Stifte häufig untereinander. Die graphischen Strukturen haben im höchsten Maße stofflich-sinnliche Qualitäten. Die Striche sind weich, borstig, kratzig, strohig, rau, kreidig oder samtig, sie bilden wollige Knäuel oder drahtige Gebilde. Sie sind zugleich außerordentlich dynamisch, katapultieren spiralartig vor oder zischen wie Peitschenhiebe über das Papier, um dann wieder von soliden geometrischen Formen abgebremst zu werden. Tone Fink hat auch ein ausgezeichnetes Gespür für die Farbe, die aber bei ihm selten eine plastisch-modellierende, formgebende Funktion zukommt, keinen eigenen Körper besitzt. Der Künstler setzt sie nicht als Maler ein, denn die Farben werden immer von graphischen Strukturen begleitet oder durchsetzt. Der Farbfleck füllt eine vorgegebene Form aus oder markiert die Stelle größter linearer Verdichtung. Manchmal ist die Farbe der Grund auf dem die Zeichnung ihr Leben entfaltet oder sie überzieht einen Strichkörper wie eine transparente Haut. Tone Fink verwendet für seine farbigen Lasuren gerne Substanzen wie Tee oder Kaffee, die beim Trocknen Krümel und Ränder hinterlassen, also wieder graphische Strukturen bilden. Das Papier ist für Tone Fink nicht nur Zeichengrund, es wird einbezogen in den Werkprozeß, es wird zum Objekt selbst. Der Künstler kostet dabei alle Möglichkeiten der Bearbeitung aus: Er zerkratzt es, schlitzt oder reißt es auf, überklebt es, reißt die Überklebungen wieder ab oder überklebt die aufgeschlitzten Partien. Er bearbeitet das Papier als sei es ein bildhauerischer Material.

Der Künstler lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf die haptischen Qualitäten, etwa wenn die Überklebungen eine raue, gipsartige Oberfläche bilden, wenn sich das Papier durch die Überklebungen aufrollt oder unter dem Riß der Fonds herausquillt und wie eine honigfarbenen Flüssigkeit herauszutropfen scheint. Nicht selten entstehen auf diesen aufgeschlitzten Blättern interessante Rückseiten, die der Künstler weiter bearbeitet und dann zur eigentlichen Hauptseite macht.

Tone Fink hat ein zutiefst emotionales, fast intimes Verhältnis zum Papier, über das er gerne liebevoll mit seiner Hand streicht. Für ihn ist das Papier eine verletzliche Membran, auf die er Pflaster klebt, die er aufkratzt oder zerkratzt. In seiner Kindheit hatte Tone immer wieder an Allergien zu leiden, was mit erklären hilft, warum er das Papier wie eine Haut behandelt. Wiederum wird, deutlich wie eng bei dem Künstler Graphisches und Biographisches zusammenhängen.

Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre tritt eine Entwicklung ein, in der sich der Künstler ganz von der naturalistischen Objektbeschreibung löst und in den Zeichnungen seiner Phantasie freien Lauf läßt. Er beginnt sich mit dem Papier seine eigene Welt zu bauen. Es ist die Zeit des Maikäferdompteurs, in der sich der Künstler auf der Zeichnung mit kindlicher Naivität auslebt und viel bunte Farbe hinzutreten läßt. Es ist auch die Zeit, in der seine Tochter zur Welt kommt. Nicht selten verarbeitet er dieses Erlebnis in seinen Kompositionen, die nun ein Höchstmaß an spielerischer Ungezwungenheit offenbaren. Es begegnen uns nun seltsam gespreizt oder gestaucht wirkende Phantasiegeschöpfe, die aus spiraligen Körpern oder schlauchartigen Elementen bestehen. Manches erinnert an Klee oder Miro, doch abstrahiert Fink die Formen nie zu reinen Symbolen oder Zeichen. Es sind skurrile Wesen, die mit größter Selbstverständlichkeit auftreten, oder besser gesagt stolpern, strudeln, purzeln und in einem kunterbunten Kosmos durcheinanderwirbeln.

Da begegnet man einem Maikäfer mit knallroten Socken, der purzelbaumschlagend auf den Rücken fällt. Er ist wohl schon einmal auf dem Boden aufgeschlagen, denn ein Insekt klebt an seinem Panzer, das er wohl beim Aufprall zerquetsch hat (in der Ausstellung).

Auf einer anderen Zeichnung finden sich in die Luft gewirbelte Stofftiere, abgerissene Krebsscheren, ein Kieferknochen mit Hinterrad, eine abgebogene Zahnbürste, ein Paar dümmliche Pfauen mit Zündholzkopf, ein Schaf mit einem Spiralbauch, ein behelmter Boxhandschuh und eine Krähe, die unter der Last eines Buches auf dem Rücken zusammenbricht. Es sind witzige Wesen, die unvorhergesehene Transformationen durchmachen und häufig überdimensionierte Geschlechtsteile mit sich herumtragen. Tone Fink ist ein Meister der Wortverdrehung, ein Wortjongleur, und häufig drängen sich die Bezeichnungen die er seinen Wesen gibt geradezu auf: da gibt es den Brustzwergreigen, den Dreifußkinderglücksjubel, das Hautsägenkasperl, den Reizhorndraufgänger und die Hosenknopfgrille. Bisweilen finden sich auch derbere Titel wie Steifer Bettbrunzermensch, Gelbhosenspreitzer oder Arschgespalten um eine seiner hier ausgestellten Zeichnungen mit erotischem Sujet zu erwähnen. Der Künstler verarbeitet in diesen Zeichnungen nicht selten eigene Erlebnisse und Ängste, doch haben diese Phantasiewesen nicht die Bedrohlichkeit von Dämonen. Tone Fink überzeichnet sie mit Witz und Ironie, und schafft dadurch eine Distanz, die gleichbedeutend ist mit einer Distanz zum eigenen Ich und den tragischen Erlebnissen in Leben. Ohne das Wissen um seinen unbeschwerten und witzigen Charakter würde man die Kunst von Tone Fink nur halb verstehen.

Will man der eigenen Aussage des Künstlers Glauben schenken, so entstehen seine Zeichnungen ohne vorhergehenden Plan, ohne konkrete Idee dahinter. Er setzt mit dem Stift an einer beliebigen Stelle des Papiers an und läßt dann den Linien freien Lauf. Die phantastischen Gebilde und Strichstrukturen entwickeln sich dann von selbst sukzessive heraus. Auf ähnliche Weise entstehen seine Telefonzeichnungen, die er gedankenversunken, ja geistesabwesend auf ein Stück Papier kritzelt, während er mit jemandem auf der anderen Seite der Leitung spricht. Die Kompositionen haben jedoch nie etwas Beliebiges, Wirres oder Chaotisches, denn der Künstler hat ein einzigartiges Gespür für das Verteilung der Formen auf der Fläche und für ihre Beziehungen zueinander. Es herrscht eine Spannung zwischen dem eigengesetzlichen Leben der Phantasiewesen, den graphischen Formen, den Farbakzenten und dem Papiergrund. Zugleich werden allen Formen auf subtile Weise in Balance gehalten.

Diese Balance basiert auf einer schwer faßbaren ordnenden Struktur, die mit der unvorhersehbaren Regelmäßigkeit eines gemusterten Tierfells zu vergleichen ist. Tone Fink hat seinen Stil nicht unabhängig von den künstlerischen Strömungen seiner Zeit entwickelt, sondern sich mit Zeitgenossen wie Cy Twombly, Joseph Beuys oder Antoni Tapiès intensiv auseinandergesetzt. Er hat Arbeiten dieser Künstler, die in Büchern und Katalogen abgebildet sind, überarbeitet, wozu auch das Bild auf der Einladungskarte zu dieser Ausstellung gehört. Seine Überarbeitungen unterscheiden sich aber von denen eines Arnulf Rainer, der einen Dialog mit den Vorlagen schafft, sie verfremdet und dadurch im Ausdruck zu steigert. Tone Fink verwendet dagegen die Vorlage als Inspirationsquelle für die eigene Ideen. Er verleibt sie sich regelrecht ein, kleistert sie zu, sodaß kaum mehr etwas von ihrem ursprünglichen Aussehnen zu erkennen ist.

Die vielfältige Arbeit mit dem Papier hat den Künstler zwangsläufig auch zum Buch geführt. Wir haben ein besonders schönes handgefertigtes Buch aus dem Jahre 2008/9 für die Ausstellung ausgewählt, dessen leere Seiten vom Künstler auf verschiedenste Weise verziert sind. Es ist geradezu eine Summe seiner vielseitigen Ausdrucksformen im Umgang mit dem Papier. Es finden sich dekorative Muster, landschaftliche Szenen, die auf seine Heimat verweisen, aufgeschlitzte oder durchlöcherte Seiten sowie Überklebungen. Daneben treffen wir auf Zeichnungen mit feinen linearen Vernetzungen und Märchenbilder, die von purzelbaumschlagenden Phantasiewesen bevölkert werden.

Doch nun möchte ich Ihnen den Genuß nicht mehr vorenthalten, die Ausstellung mit eigenen Augen anzuschauen und wünsche Ihnen dazu viel Muße und Vergnügen.

Achim Gnann