Strichtänze -Tone Fink ´

"der bürger wünscht die kunst üppig und das leben asketisch;
umgekehrt wäre es besser." ---- theodor w. adorno

Tanz ist Verwirbelung, zweckfreie Mobilisierung der Körperaktivitäten, zeitweilige Suspendierung eines soliden Standpunktes auf sicherem Boden. Tanz kann Schwindelgefühle erzeugen und die Konturen in der Umgebung des lustvoll bewegten Leibes auflösen. So werden in der Wahrnehmung des Tanzenden Gegenstände, die in der Dingwelt nichts miteinander zu tun haben, zu Hybriderscheinungen zusammengezogen. Die Schnelligkeit der Drehungen führt zu einer ´filmischen` Rezeption des Außen, dessen ineinanderstürzende Bilder sich zu surrealen/ surrealistischen Metapräsenzen organisieren - nur, um im nächsten Moment wieder auseinanderzufallen und neue Legierungen einzugehen. Tanz ist die Feier des intensiv erlebten Augenblicks und wenn Tone Fink seinen Bleistift leichthändig über das Papier tanzen lässt, dann entstehen, wie es scheint, spontan und intuitiv Figurationen zwischen Gegenständlichkeit und Motivzerfall: Ein Strichwald wie in „Dornenschilf am See", der sich gen Horizont in eine schwache, kaum mehr erkennbare Schraffur auflöst und eine Menschenmenge genauso symbolisieren könnte wie ein wucherndes Biotop. Oder ein zart koloriertes picassoartiges Monstrum mit ziegenförmigem Kopf und schuppigem Reptilienleib („Der weißen Leber zuliebe I") Aus dem Rücken der Kreatur scheinen Äste zu wachsen oder Flammen zu züngeln, darüber ein stilisierter kinderkrakeliger Karren. Noch weiter oben: Zwei Gestalten in Rückenansicht: mechanoid, robotoid, android, mit nach vorne geklapptem Oberkörper, als ob sie sich vor elektrischen Schafen verbeugen würden.

Man sieht: Selbst bei der Bildbeschreibung verliert man sich im Uneindeutigen, nicht Festgelegten und genau aus dieser Multiphonie der Bedeutungen, formalen Darstellungsweisen und Balanceakten zwischen Sinn und Form gewinnen die Arbeiten die Unmittelbarkeit eines prägnanten Nicht-Intentionalen.

Vielleicht könnte man in Anlehnung an den von Fink verehrten Breton von Dessin automatique sprechen: Vielgesichtige und vielgestaltige Fabelwesen, Konstruktionszeichnungen zur Schöpfung von Unerhörten und Ungesehenen, Protokolle somnambuler Angstszenarien, die in der künstlerischen Formwerdung gebannt werden .Darf man vielleicht auch Art Brut bei voller Geistesgegenwart dazu sagen? Mit eingebauten Löchern, Rissen und Falten? Oder twomblyeskes Sekundenpsychogramm eines erlebten Augenblicks, der auf eine Partitur des Nicht-Darstellbaren reduziert wird?
Willkommen, Bienvenue, Welcome in einer seltsamen Welt, in der das Vertraute fremd und traumatisch verzerrt ist und das Amorphe den Keim zu einem Wiedererkennbaren in sich zu tragen scheint.

Die Zeichnung ist beim Multikünstler Tone Fink, der zwischen Performance und Installation, zwischen Foto, Film und Malerei navigiert und dem kategorischen Imperativ einer Erweiterung des Kunstbegriffes folgt, vielleicht die leichteste und eleganteste ästhetische Ausdrucksform. Ein Spielraum der Möglichkeiten und Experimente. Ein Labor, in dem unterschiedliche Versuchsanordnungen durchprobiert werden können und das Oszillieren zwischen gestalterischen Festlegungen und der Öffnung hin zu neuen visuellen Multituden jenseits von inhaltlichen und formalen Restriktionen zum Teil der ludischen Exaltation wird.

„Was er malt, zeichnet, druckt und strickt, aufführt, in bibliophilen Büchern unterschiedlichster Bauart einschließt oder als Objekt auf den Markt rollt," schreibt Peter Baum, „steckt rundum und querfeldein in einem Schlachtfeld voll von Beziehungen, künstlerischen aber auch praktischen, die, wenn die Dinge sperrig im Raum stehen, nur der behende Turner und Tänzer gewinnbringend für Auge und Ohr zu mobilisieren vermag."

Thomas Mießgang (Kurator und Publizist)