Tone Fink, Hinterwies

Lichtung aus Schatten

1• Hauptsächlich Winterstimmungen
Vielleicht ist es die Anregung durch die Gespräche mit Peter Zumthor, sein Bemühen, das Nächste nahe zu bringen, vielleicht sind es eigene Vorlieben, die mich wieder mehr Handke lesen lassen. Dort werden nicht Dinge beschrieben, sondern Phänomene vernommen. Die Sprache, die eigentlich ein sperriges Gut ist, deren Grammatik und Formregeln, das Sensuelle nicht selten spröde versachlichen, erweist sich in seinen Texten als dehnbar und achtsam genug, um dem Nebensächlichen und Unbeachteten eine Stimme und literarische Entfaltung zu geben. Die Dinge über ihre Nähe zu Wort kommen zu lassen, das ist Handkes große Kunst. Sie nährt sich über die Zeit, verlangsamte Erfahrung und über immer neue Anfänge. Und manchmal bin ich sogar bereit, Zumthors Hinweise auf Adalbert Stifter nachzugehen. Ein Ratschlag, dem ich nur widerwillig nachkomme, weil Stifter das Einfache heiligt und den Jargon der Eigentlichkeit m. E. zu weit treibt, aber ein Ratschlag, den auch Handke gibt, auf seinem Weg, den Phänomenen, die kleinste Atmosphären und empfindliche Wirkungsinseln sind, gerecht zu werden. Es seien die dunklen Flecken in ihm, Stifter, die zu seinen ersten Erinnerungen gehörten, sagt Handke. Diese Bemerkung über das Innere des Autors findet sich seinem Buch zu Cézanne „Die Lehre der Saint-Victoire“.(S. 14) Stifter, der Stiftszögling, als jemand mit Untiefen. Dieser Gedanke passt besser zu meinem Bild von einem Autor des Biedermeier. Handke erzählt, wie sich der junge Maler Cézanne von seinem wohlhabenden Vater 1870 vom Kriegsdienst im deutsch-französischen Krieg freikaufen lässt. Er geht nach L´Estaque, einem Ort in einer Bucht nahe Marseille, die heute industrialisierte Banlieu ist, damals aber ein verwunschenes Fischerdorf war. Cézanne gilt als der Maler, der die Farben an die Formen des Sichtbaren heftete und so ihre spätere Verselbständigung in der Moderne des 20. Jahrhunderts vorbereitete. Aber nicht nur das. Auch das Bild als konstruktives Gefüge, als Farbbauwerk, aufzufassen, gilt als seine Erfindung. Doch anfänglich sind seine Werke anders. „Die Bilder der Versteckzeit“ schreibt Handke, „waren fast schwarzweiß gewesen, hauptsächlich Winterstimmungen.“ (S. 15) Wer Cézanne studiert, — ich hatte letzte Woche in Karlsruhe bei einer Ausstellung die Gelegenheit — der findet aufwändige Studien, Zeichnungen und Aquarelle, deren Gemeinsamkeit das Annähern von den Rändern her ist. Kaum ist das Blockhafte zu sehen, von dem im Unterricht immer zu hören war. Im Gegenteil. Da ist ein Denken und Sehen von den Rändern her. Als müssten sich Striche vereinen und verengen, um einen Gegenstand zu umreißen, vervielfachen sie sich an den Formgrenzen. Frauen, Landschaften, anatomische Studien, antike Klassiker. Alle schwärzen sich an den Konturgrenzen und lassen unbehelligt, was sich als Körper und Ding wölbt. Das Greifbare besteht aus nicht-sichtbaren Füllungen, sie sind das Weiß des Blattgrundes, und Leerstellen, die von einem künstlerischen Küstenstreifen aus bewegten Linien eingefasst werden.

2• Das Stoppelfeld
Nun ist der Vergleich zu Cézanne sicher nicht korrekt gewählt. Es geht um das „Stoppelfeld“ von Tone Fink in Lech am Arlberg. Abgezirkelt und eingerichtet von Gregor Koller. Wäre es nicht besser, von den poetischen Minimalisten zu sprechen, der Gruppe Zero zum Beispiel und deren Weiß-in-Weiß Kompositionen? Wäre es angesichts der Reihen von Stäben, die in den Boden getrieben sind, nicht naheliegender, an die Werke Günter Ueckers zu erinnern, an manche Illusionen der Optical Art und natürlich die rigiden Formuntersuchungen der Earth- und Minimal Art in den Ödlandschaften von New Mexico und den Salzseen Utahs? Und kommt nicht sogar der Impressionismus zum Tragen, mit seinem Sinn für Tageszeit, Lichtstimmung und Veränderlichkeit? Ja vielleicht. Aber dennoch scheint mir das „Stoppelfeld“ weder aus der Reduktion des Bildes noch aus der Feldforschung der Leere gewonnen. Tone Fink ist Zeichner. Sein Medium ist der Strich. Dieser wird gesetzt und zugleich zum Verschwinden gebracht. Dafür nutzt er in Lech die Tarnung der Umwelt. Wer die Schatten auf dem verschneiten Boden verfolgt, sieht gerade, parallele, aber auch sich überschneidende Linien und in manchen geordneten Strichlagen sogar Quer- und Kreuzschraffuren. Auf einem Foto, das gegen die Sonne aufgenommen ist, sind die Stäbe wie ihre Schatten im gleichem Grau. Fink zeigt uns in seiner Winterstimmung eine Ordnung an Strichlagen. Der Raster ist nicht streng gesetzt, manche Abstände sind enger andere weiter. Die Reihen sind wie mit der Hand gezogen. Das etwa Handballfeld große Terrain ist allansichtig und umgehbar, doch nicht ohne Sehrichtungen und von der Gefahr überschattet, durch Eindringlinge verletzt zu werden. Wie ein Tiefschneehang ist jede Kerbe, jede Spur, jeder Fremdnachweis auch Verletzung. Es scheint als stünde es nur der Natur zu, die Raumzeichnung zu verändern. Mehr Schnee, vergängliches Licht, Wind und im nächsten Frühjahr die Schmelze. Der Stabbezirk ist eingebettet in eine flache Senke und rundum eingefasst von einer anfangs weich ondulierenden dann schroff aufragenden Umgebung. Es erschließt sich ein Landschaftsbild mit wechselnden Fonds. Eine ebene Lawinengalerie mit mäßigem Schutz aber ökologisch verträglicher Camouflage. Sieht man auf umliegende Häuser und Scheunen, so erscheinen die Stäbe wie rhythmische Antworten von deren gebeizte Holzplanken oder als landwirtschaftliche Vorrichtungen, die zur Heuernte gebraucht werden und im Freien überwintern müssen, ungenutzte Baumschulbehelfe zum Beispiel oder als verwaiste Terrassen einer entlaubten Weinrebenkultur. Sieht man auf Büsche und Hecken, so entdeckt man die Grafik winterlicher Natur. Die Strichlagen finden sich in blattlosen Zweigen und Ästen. Wer sie ohne Umraum sieht, flacher und als Bild, aus der Fantasie eines Vogelflugs zum Beispiel, für den mögen sie einsame Standarten sein oder Abwehrvorrichtungen gegen Landewillige. Vielleicht erscheint das Feld dem Luftblick als verlassene Sehtafel, als verschlüsselte Botschaft in kryptischen Kürzeln, als vereister Sumpf, aus dem Reihen verödeter Schilfkolben ragen. Doch Finks Lecher Terrain hat auch etwas Würdevolles. Man denke an einen Tempelbezirk ohne Mitte und befestigtes Heiligtum, einen verflachten Hain im Hochgebirge, eine karg-sinnliche Landschaft, ein quadrierte Stätte für Lichtgötter oder Totenkulte.

3• Steckspiele
Das „Stoppelfeld“ ist ein abgezirkeltes körperloses Gerüst, es verdichtet Nadeln auf einem weißem Plateau, gemacht aus einem Verfahren der Striche, der Zeichnung und ihrer Lagen. Cézanne malte seine Figuren von den Konturen her, ohne ihr Inneres anzutasten. Der Maler überließ die Hauptsache dem Sehen. Die Schraffuren, manchmal sagt man auch Schraffen, von Tone Fink verzichten sogar noch auf diese Leerstelle, sie bleiben ohne Körper. Das Sehen kann sie mit nichts Bekanntem befüllen. Sie sind nicht Umriss, sondern eher sich verzahnende Korridore aus feiner Zeichnung. Diese wird literarisch, sobald erkennbar wird, dass eine unbekannte Stenografie zum räumlichen Bild ausgeformt wird. Tone Fink zeigt uns faszinierende „Steckspiele“, ein Raumbauwerk ohne Mauern und Mörtel, eine Lichtung aus Schatten, Winterstimmungen in nur schwarz oder weiß. Während der Nacht und der größten Mittagshelle bringen sie sich zum selbst Verschwinden. Das macht ihre Linien zu unaufdringlichen, kunst- und wertvollen Phänomenen.

tdt, Helsinki 15. Dez 2017