Erotone Leibesübung

Details zum Buch

Verlängertes Verlangen von Peter Weiermair

Am Ende eines Atelierbesuchs stand diese Formulierung im Raum, scherzhafte Umschreibung der hier reproduzierten Anthologie von Zeichnungen und Aquarellen, ein Spiel mit der Sprache, wie es Tone Fink auch im täglichen Umgang liebt, ganz in der Tradition der Dichter der Wiener Gruppe aber auch der bildenden Künstler – ich denke hier etwa an Günter Brus – und ich habe sie als treffenden Titel für meine Überlegungen begriffen. Alle Kunst, die sich mit dem Eros und der Sexualität auseinandersetzt, hat mit dem Verlangen zu tun, welches sie erlöst, auch wenn es, denken wir an das wütende Spätwerk Picassos, nie mehr befriedigt werden kann. Das Werk des Künstlers steigert (verlängert) das Verlangen, es wird fortgesetzt, seine Befriedigung vertagt, jedoch vertieft, manchmal auch sublimiert. Dies trifft auf Rodin oder Klimt genauso zu wie auf Tone Fink. Beide Künstler, Klimt wie Rodin, nenne ich hier nicht ohne Grund, denn sie haben wie Fink schnell notiert (allerdings in Gegenwart des begehrten Modells) und Rodin hat raffi niert die durch das Aquarell schattenhafte Konfi guration der Körper in Dialog zur linearen Kontur gebracht.

Rodin war fasziniert vom weiblichen Geschlecht, welches er öffnet (gegen den Sittenkodex seiner und auch der heutigen Zeit). Das geöffnete Geschlecht der Frau, das der japanische
Fotograf Araki feiert, so wie Robert Mapplethorpe das erigierte Geschlecht seiner schwarzen Idole auf den Altar hebt, beide Themen gehören nach wie vor zu den sexuellen Tabus, welche auch Fink bewusst verletzt.

Marcel Duchamp hat einmal von Eros und Sexualität als zentraler Motivation der Kunst gesprochen, über die man lediglich nicht sprechen würde.

In seinen Bildtiteln und literarischen Exkursen bedient Fink sich einer Umgangssprache, wie wir sie – der fast gleichen Generation angehörend – auf der Straße benützten, ja dort
erlernt haben.

H. C. Artmann hat mir gegenüber einmal – es war in Schweden in den Sechzigerjahren, wo ein kühler Wind der Aufklärung wehte und das Ehepaar Kronhausen ihre berühmte Sammlung sexueller Darstellungen frei ausstellen durfte – diese rationale, mechanistische Sicht der Sexualität sehr verdammt und die Tatsache positiv vermerkt, dass wir die Sexualität als etwas 26177_ToneFink_Inhalt.indd 139 21.03.2008 11:52:32 Uhr 140 Geheimnisvolles in Doktorspielen und durch obszöne Graffi ti in öffentlichen Toiletten kennenlernen durften. Ich erinnere mich an die sterilen Aufklärungsfi lme aus der Produktion der so erfolgreichen Beate Uhse, besonders weil ein früher Spielgefährte aus der Innsbrucker Nachbarschaft, Robert Hochschwarzer, darin eine »führende« Rolle hatte und wir ihn ironisch »Hochschwanzer« nannten. Fink operiert mit den umgangssprachlichen Bezeichnungen der sexuellen Organe, Schwanz, Zipfel, Fut oder Titten, und wir spüren einen noch immer nachwirkenden Kitzel von damals beim Aussprechen dieser Begriffe für Orte des Körpers, für die – weil so faszinierend – der Volksmund so viele Bezeichnungen bereithält. »Verlängertes Verlangen« – das hat natürlich auch mit der Mechanik zu tun, jenes fast automatischen körperlichen Vorgangs, dass sich Begierde in eine Erektion ummünzt, das »Es« Alberto Moravias aus eigenem Antrieb handelt, wenn das Blut in das Glied steigt.

Zeichnen als Erregung, Tagebuchblätter des Verlangens, erfi ndungsreiche Kombinatorik einer polymorphen Sexualität, Berichte aus einem sexuellen Legoland, grafi sche Exkurse weiblicher Idole. Tone Finks künstlerisches Werk umfasst eine Fülle von Medien und ästhetischen Strategien, die alle miteinander kommunizieren. Man könnte die hier ausgewählten Blätter auch als Choreografi en sexueller Ballette ansehen, vielleicht auch als Konstruktionszeichnungen für Werke in körperbezogener Form. Finks Objekte sind nicht selten mechanische Geräte, die beweglich sind, ganz anders als bei Franz West, wo sie dem Benutzer arretierende Spielobjekte sind. Bei Fink bewegen sie sich wie sein Tablett zitternder, gezwirbelter Schwänze (in der für ihn seltenen Farbe Schwarz).

Er ist auch Produzent von Büchern; er demonstriert seine Verehrung für einen Künstler wie Cy Twombly, indem er eine schöne Ausgabe seiner Zeichnungen so weit überarbeitet (liebt!), dass von Cy Twomblys Zeichnungen, die sich wiederum an Graffi ti (Toilettezeichnungen priapeischen Ursprungs) orientieren, nichts mehr übrig bleibt. Stolz weist er, als er mir das unikate Buch zeigt, auf seine Philosophie von Vorder- und Rückseite hin, eine Vorgangsweise, die wir bei einer Reihe der hier abgebildeten Blätter beobachten können. Die Rückseite 26177_ToneFink_Inhalt.indd 140 21.03.2008 11:52:32 Uhr 141 einer Zeichnung, die durchschlägt, gefällt besser und wird zur ersten Wahl. Abgebildet werden beide Seiten. Der wesentliche Grund, dass Zeichnungen durchschlagen, liegt in der Verwendung ungewöhnlicher Mal-Flüssigkeiten; Tee-, Kaffee- oder Moorwasser. Wesentlich erscheint mir hier auch zu sein, dass mithilfe dieser Verfärbungen, schemenhaften Konturen und Flecken, Assoziationen zur Körperthematik (auch das dünne Papier kann als Haut angesehen werden), zu Schweiß, Blut oder Sperma sich einstellen.

Der Sohn eines Hufschmieds aus dem hinteren Bregenzerwald, aus dem fernsten Landeszipfel Österreichs, beschäftigt sich in seinen Objekten ständig mit der Mechanik, so wie ihn in seinen Zeichnungen das Mit- und Ineinander der Körper interessiert.

In Sie · Er · Eins verschmilzt der Künstler eine weibliche mit einer männlichen Figur, die mit einer phallischen Nase der Frau aus dem Rücken wächst, die ihre Lust steigert, indem sie an ihren Brustwarzen reibt und das ihr eigentlich nicht gehörende Geschlecht masturbiert.

1977 sah der Künstler Oh! Calcutta!, ein – wie er kommentierte – »unkeusches Ereignis«, welches zu einem wichtigen Erlebnis, Auslöser der erotischen Thematik wurde. Der Begriff »Unkeuschheit« ist aus dem heutigen Sprachgebrauch vollkommen verschwunden.

Witz, Parodie und Ironie spielen für Fink eine wichtige Rolle. Sie spiegeln sich in seinen Zeichnungen wie auch Texten. Nicht ohne Grund wurden in diesen Band auch die Texte des Erotomanen aufgenommen. Ihre fast expressionistische Diktion und ihre Lust an Wortneuschöpfungen stellt sie in eine lange österreichische Tradition von Doppelbegabungen, die von Alfred Kubin und Albert Paris Gütersloh, Oskar Kokoschka bis zu Gerhard Rühm und Günter Brus reichen.

Tone Fink feiert hier wie in seinen Objekten und Zeichnungen den sexuellen Körper als Instrument aber auch als fortdauerndes Geheimnis voller Anziehung und Faszination.

London, 27.02.2008