Lieber Tone Fink, liebe Frau Infeld, liebe Frau Dr. Weiß, Kuratorin der Ausstellung, meine Damen und Herren!

Die folgende Rede dauert 11 Minuten.

Tone Fink kritzelt und klebt, er schneidet und spachtelt, er schichtet und schleift und schreibt was dazu, er zerkratzt, zerreißt, durchlöchert das Papier, er bastelt und baut Objekte und tritt damit auf und wird dabei gefilmt und gestaltet selber Filme. Und schließlich macht er auch noch etwas erstaunlich Konventionelles: er zeichnet und malt. Und gibt zuweilen als Lehrer weiter, was er tut.

Ein Satz von Joseph Beys ist ihm wichtig: „Kunst=mensch=kreativität=freiheit.“ Und weiter: Kunst sei „Revolte“, „Aufruhr“, „Anarchie“ zitiert Tone Fink große Künstler des 20. Jahrhunderts. Und daran hält er sich.

In Tone Finks Performances mit eigenen Objekten wird – finde ich – das Anarchische besonders deutlich. Da hängt er als Aktionist – das hat hier in diesem Haus stattgefunden - unter seinem von ihm geschaffenen tierartigen Objekt, das auf vier Beinen steht, so wie Odysseus und seine Gefährten einst unter den Bäuchen der Schafe hingen, um die Höhle des zuvor geblendeten Polyphem, der sie fressen will, lebend verlassen zu können. Finks Objekt ist weiß, wie es wahrscheinlich auch Polyphems Schafe gewesen sind. Weiß ist eine bevorzugte Farbe des Künstlers – wobei ich nicht weiß, ob Weiß überhaupt als Farbe gilt. Egal, für Tone Fink ist sie wichtig, wenn er das weiße Papier malträtiert, mit Rissen und Löchern versieht, und es da und dort mit Bleistift und farblosem Klebstoff behandelt. Sie können das hier besichtigen.

Um noch kurz bei den literarischen Assoziationen zu bleiben: von Homer zu Canetti. Es gibt einen Animationsfilm von Tone Fink, der heißt „vers.augt“ – versaugt, wie auch immer man das aussprechen will. Vers kommt im Titel vor, also Poesie, Saugen und das Auge. Und der Film beginnt, als würde er „Das Augenspiel“ von Canetti wörtlich nehmen und in filmische Animation übertragen wollen. Augen verändern und bewegen sich unentwegt, sogar die Spermien haben Augen, und die Vereinigung der Liebenden – der Menschen wie der Käfer – geht auch wieder in das Augenspiel über. Der Film ist übrigens nicht ganz jugendfrei, hätte man früher dazu gesagt.

Sie können das, wenn Sie wollen, auf Tone Finks Webseite überprüfen. Dort finden Sie auch sein künstlerisches Verständnis von Filmen als „gezeichnete Erzählungen“ – „oft aus einem Stegreifhieb herausgesprudelt“, wie er das nennt. Es sind Filme voll Poesie – etwa, wenn in einem anderen, zunächst recht fröhlichen Film bunte Vögel eine wunderbare Freiheit genießen. Doch am Ende kommt die dicke fette Katze. Aber so ist das Leben.

Doch nun wieder zu den Bildern. Tone Fink unterscheidet hier zwei Kategorien, die er als „ornamental“ und als „narrativ“ bezeichnet. Dazu ein persönlicher Einschub: Meine Frau und ich haben drei Bilder von Tone Fink zu Haus hängen, und wer sie sieht, käme nicht auf die Idee, dass die drei vom selben Künstler stammen. Gut, die drei kommen aus verschiedenen Perioden, eines davon ist früh. Aber das allein ist es nicht. Und es ist auch nicht nur die ästhetische Wandlungsfähigkeit dieses Künstlers und seine unübersehbare Lust am Experimentieren. Es geht um die zwei verschiedenen Wege: „ornamental“ und „narrativ“. Hier in diesem Raum hängen narrative Arbeiten, und wenn sie auf die andere Seite hinüber gehen, die ornamentalen. Wobei - und das macht die Sache noch komplizierter, weil: unkompliziert ist bei Tone Fink wenig: es gibt Übergänge zwischen beidem, das heißt: auch die sogenannten „narrativen“ Arbeiten sind zuweilen mit Rissen und Überklebungen versehen – was an sich ein Charakteristikum des ornamentalen Werks ist.

„Narrativ“ heißt, wie der Name schon sagt, dass uns das Bild eine kleine Geschichte erzählt, und die kann man manchmal sogar rational verstehen, häufig aber auch nicht. Ich bringe zwei Beispiele aus dem Kunstband „narratone“, erschienen 2009. Wer Latein gelernt hat, weiß: „narratone“ ist „narrat tone“, das heißt: Tone erzählt, ein verstecktes Wortspiel. Derlei liebt Tone Fink. Und was erzählt er uns? Links der Text, ich zitiere: „die fischäugige schwimmnixe bräunt ihren busen“ und rechts das Bild dazu. Und ich denke: Ja, das könnte es sein – so ähnlich stelle ich mir fischäugige Schwimmnixen beim oben ohne-Sonnenbad vor. Ich bin allerdings verwirrt, weil am unteren Bildrand steht auch etwas, nämlich: FISCH U. ZWILLING AM SEE. Ich mache ein Fragezeichen und entscheide mich für die Schwimmnixe.

Beispiel 2, Text links „auf der grünen wiese lauert jetzt eine kulturkrise“. Und am unteren Bildrand: DER WEISSEN LEBER ZU LIEBE I. Wieder ein Verwirrspiel. Nun sehe ich in dem Fall sogar die weiße Leber im Bild, entscheide mich aber trotzdem für die lauernde Kulturkrise, weil: so ähnlich könnte die Kulturkrise aussehen.

Nun ein Hinweis zu dieser schönen Ausstellung: Von mir kriegen Sie selbstverständlich keinerlei Hinweis oder gar Anleitung zu den Bildern. Höchstens das: Was Sie hier sehen, betrachten Sie bitte nicht einfach mit dem Verstand und auch nicht mit dem Herzen wie der kleine Prinz. Geben Sie vielmehr Ihrer Phantasie freien Raum, so wie es der Künstler getan hat. Vielleicht treffen Sie einander dann sogar im Irgendwo. Wichtig ist: S i e machen im Kopf mit diesen Bildern, was I h n e n beliebt. Das geht bei den sogenannten „ornamentalen“ sogar noch besser als bei den „narrativen“, weil die „ornamentalen“ mit ihren Rissen, Löchern und Klebstellen reine ästhetische Form sind und keinen Inhalt vorgeben. Mit anderen Worten: Es geht um das Unbewusste. „Die Kunst gehört aber dem Unbewussten!“ schrieb Schoenberg – apodiktisch wie immer – vor mehr als 100 Jahren an Kandinsky.

Mag sein, sie kommt aus dem Unbewussten. Sicher ist: Tone Fink zeichnet für sein Leben gern, manchmal auch ganz realistisch. Eben gesehen in einem Buch, das Tone Fink jetzt gleich vorstellen wird: ein Falke, ein gähnender Affe, dazu selbstersonnene Sprüche wie: „Lieber vom Leben gezeichnet als vom Fink“ oder: „Kunst als Surrogat. Brunft mach mit Spagat“. Sie sehen: Der Künstler hat kindsköpfische Züge. Und nur, weil er Kunst besonders ernst nimmt, tut er so, als nehme er sie nicht besonders ernst. Aber das täuscht.

Zum Schluss: Tone Fink war mit seinen Arbeiten in Peking, Kairo, Berlin, Tokio, Prag undsoweiter. Und jetzt hier in Halbturn. Ich gratuliere allen an dieser schönen Ausstellung Beteiligten.

(Dr. Peter Huemer, 2019)