Lieber Tone Fink, liebe Katharina, Tone Finks Tochter mit Enkel Louis, lieber Herr Stadtrat, meine Damen und Herren! Und ich füge hinzu, da er heute ebenfalls geehrt wird: hochgeschätzter Joshua Sobol!

Die folgende Laudatio dauert 12 Minuten.

Tone Fink als Künstler beschreiben zu wollen, heißt, zunächst einmal aufzuzählen, was er alles macht. Angefangen hat er als Zeichner, dann wurde er Maler, später Objektkünstler, Filmemacher, Aktionist und Performer, Lehrer ist er auch. Ich beginne mit dem Zeichner. Der unvergessene Otto Breicha schreibt über ihn: „Er liebt es immer riskanter. Seine Zeichnungen sind frei erfundenes Figuren-Geflecht. Leben ist Kampf und Krampf, ein umbringerisches Gerangel. Seine Kunst gibt nichts Augenscheinliches wieder, sondern macht Ungesehenes sinnfällig.“ Breicha spielt hier mit dem berühmten Satz von Paul Klee: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ Für den Künstler Tone Fink trifft das in besonderer Weise zu.

Das Zitat von Breicha entnahm ich dem Buch „Kleinkrieg im Stiegenhaus. Briefe an die Hausverwaltung“, erschienen 1986. Die Briefe sind echt, nur die Namen geändert, und die Herausgeber hatten die hervorragende Idee, Tone Fink als Illustrator einzuladen. Auf der linken Seite jeweils ein Brief, rechts die Zeichnung von Tone Fink: ein boshaft-witziger Kommentar dazu, was Nachbarn einander antun, wie sie einander bis aufs Blut quälen, wie sie leiden. Die Briefe sind beleidigend und beleidigt, wehleidig, bösartig, kinderfeindlich, aber auch verzweifelt: „Wir sind schon mit den Nerven fertig waren schon beide beim Arzt.“ Oder: „Bitte befreit uns endlich von dieser Familie.“ Lustfeindliches enthalten die Briefe natürlich auch: „Wenn alles nichts helfen will, lassen Sie Ihren Gatten kastrieren (es tut nicht weh), aber verschonen Sie uns, die wir neben dem Reitsport im Bett noch anderen Zeitvertreib kennen . . . Lesen Sie abends fromme Bücher . . . oder kaufen Sie sich einen Fernseher.“

Und zu jedem dieser Briefe ein Blatt von Tone Fink, lustvoll gezeichnet, oft eher gekritzelt, und ganz im Sinne von Paul Klee: nicht das Sichtbare wiedergebend, sondern sichtbar machend.

Dabei ist das Interesse des Künstlers breit gestreut, was die Themen seiner Zeichnungen betrifft. Er befasst sich zum Beispiel mit Botanik und Erdgeschichte und ich entnehme dem kleinen Bildband „Sehstücke“ folgenden Hinweis des Künstlers: „Mit dem Auftreten der ersten Bedecktsamer beginnt das Känophytikum“ und daneben die Zeichnung, wie so ein erster Bedecktsamer ausgesehen haben mag. Und weil mir das keine Ruhe gelassen hat, hab ich im Internet nachgeschaut. Zu Ihrer Information – falls Sie es nicht ohnehin wussten: Das Känophytikum gibt es, es wird charakterisiert als „Zeitalter der Bedecktsamer.“ Na bitte!

Aber auch wenn Tone Finks Zeichnungen zuweilen durchaus gebildet sein mögen: Er legt keinen Wert darauf, denn die Quellen seiner Inspiration liegen anderswo. Er selber sagt dazu: „Die tiefe und fatale Fallgrube in der bildenden Kunst und im Leben ist die Abhängigkeit vom Intellekt statt von der Eingebung.“ Das scheint mir ein zentrales Motiv in diesem Lebenswerk zu sein, das so vielfältig ist und oft auch so verwirrend, dass es durchaus legitim sein kann, angesichts einer Arbeit von Tone Fink den Intellekt ganz auszuschalten und diese einfach „schön“ zu finden.

Ich will das näher begründen und wiederhole vorhin schon Gesagtes, weil es bezeichnend ist für Tone Finks Arbeit: Wenn er zeichnet, dann ist es oft ein Kritzeln. Das hat er wohl schon als Kind so gemacht und er sagt selber dazu: „Bei mir bedeutet Kunst auch eine Wiederentdeckung der Kindheit.“ Wie diese Kindheit des 1944 Geborenen ausgeschaut hat in Schwarzenberg im Bregenzer Wald, das können wir uns schon vorstellen: sie war katholisch. Wenn wir uns die Umzüge und Prozessionen ansehen, die Tone Fink später inszeniert hat mit eigenen Kunstobjekten, die feierlich durch die Stadt getragen wurden, dann sind wir nicht besonders verwundert, wenn wir erfahren, dass er in seiner Kindheit Ministrant gewesen ist. „Naturgemäß“, hätte Thomas Bernhard gesagt. Der Künstler Fink verbeißt sich zuweilen in die christlichen Bräuche seiner Kindheit. Diese Ministrantenkunst von Fink über Nitsch bis zu den Gedichten von Peter Turrini – die Reihe lässt sich natürlich fortsetzen – ist etwas spezifisch Österreichisches. Und ohne sie wäre Österreich ärmer. Denn Österreich ist nach wie vor ein katholisches Land, aber es ist kein frommes Land. Ich will in diesem Zusammenhang den Kunsthistoriker und jahrzehntelangen Leiter des Heidelberger Kunstvereins Hans Gercke zitieren, der sich gründlich mit dem Werk von Tone Fink auseinandergesetzt hat. Er schreibt: „Fink kramt in den bizarren Wunderkammern seiner katholischen Vergangenheit mit ihrem heidnischen Bodensatz, ihrer verdrängten Sexualität, den lustvoll katalogisierten Sünden und Strafen, felix culpa, kostbares Blut, sieben Schmerzen, glorreiche Wunden, süßes Herz Jesu, Fronleichnam, Karneval, Tod und Teufel.“

Da ist alles beisammen und wild durcheinander wie in Tone Finks Zeichnungen, aber eine Formulierung daraus will ich aufgreifen: „sieben Schmerzen, glorreiche Wunden“, weil dies uns zu einem anderen Aspekt in Tone Finks Werk führt, den sogenannten „Papierverletzungen“: er geht gewalttätig um mit dem Papier. Er zerkratzt, zerreißt, durchlöchert es, kurz: er fügt ihm Wunden zu. Und wenn er das weiße Papier genügend malträtiert hat, dann, als ob ihm leid täte, was er eben angerichtet hat, folgt der nächste Schritt, den Jan Tabor so beschreibt: „Einem surrealistischen Sanitäter gleich verarztet er dann die Wunden, klebt er die Löcher wieder zu oder lässt sie in Ruhe. Aus den Fetzen und Abrissen klebt er neue Gestalten zusammen.“

So werden aus Bildern phantastische Objekte, ein sinnlich-haptisches Element kommt dazu, das für die Arbeit Tone Finks seit den 80er Jahren immer wichtiger wird. War es zunächst noch ein sozusagen kleines Basteln – in den Worten des Künstlers: „überdecken, übermilchen, aufreißen, zukleben, überzeichnen“, so beginnt nun das große Basteln: Tone Fink baut Objekte von zum Teil beträchtlicher Dimension. Diese Objekte sind alle weiß, „neominimalistisch“ sagt dazu die Kunstgeschichte, sie sind aus Draht, Jute, Gips gefertigt, im Bedarfsfall auch aus Eisen, Holz und Pappmaché, wenn sie als Tisch oder Hocker benützbar sein sollen. Benützbar sind auch seine Kleider und Hosen aus Papier/gerissen/geklebt, allerdings nur mit Vorsicht benützbar. Wir wissen aus „Die letzten Tage der Menschheit“, dass gegen Ende des Ersten Weltkriegs die Materialnot in Wien derart groß gewesen ist und Stoffe so kostbar, dass Menschen Papieranzüge getragen haben. Ob Tone Fink daran gedacht hat, als er einen weißen Pelzfrack aus Papier gefertigt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ich weiß auch nicht, ob es diese Papierkleider waren, die eine Vorarlberger Firma in den 90ern auf die Idee gebracht haben, Tone Fink einzuladen, er möge Stoffe für sie entwerfen. Die Serie hieß „Artone“, war großteils schwarz/weiß oder weiß/schwarz und war ein schöner Erfolg bis Japan. Das ging jahrelang gut, aber der Erfolg war vielleicht zu groß und da man in Taiwan auch mit fremden Ideen wesentlich billiger produzieren kann als in Vorarlberg – Sie verstehen. Am Ende hatte Tone Fink noch eine „gemeinsame Schauaktion“ in der Sezession mit der Modedesignerin Jutta Pregenzer, die Kleider entworfen hatte aus Finks Stoffen. Der Abend im November 2000 wurde von den ORF- „Kunststücken“ aufgezeichnet.

Und weil vorhin gerade von China die Rede war: Ausstellungen hatte Tone Fink von New York bis Peking und für die Biennale in Kairo hat er 1998/99 einen Film gemeinsam mit Ona B. gestaltet.

Zum Schluss: eine umfangreiche Publikation mit Zeichnungen von Tone Fink ist in Berlin erschienen. Sie heißt „Strichfindlinge“ und das Wort gefällt mir. Es ist neu und es passt. Und noch etwas gefällt mir an diesem Kunstband – auch deswegen, weil es so ungewöhnlich ist: Es ist kein Wort erläuternder Kommentar drinnen. Die Zeichnungen müssen für sich selbst sprechen. Und sie tun es auch in ihrer Rätselhaftigkeit und lassen uns als Betrachter sprachlos verwirrt zurück.

Und über diese Verwirrung hinaus lässt sich auch nichts mehr sagen. Wir begegnen der Kunst und staunen über dieses Werk – sofern wir des Staunens noch mächtig sind.

Herzlichen Glückwunsch, Tone, zur Auszeichnung.

Laudation von Peter Huemer