ENTWURF EINER REDE

Katalogbeiträge aus "Tone Fink", Austellung Bregenzer Kunstverein,
Triton Verlag, 2000, von Wolfgang Fetz, Tone Fink

Es ist schade, wenn man einen menschlichen Körper ein Lebenlang umsonst ermüdet
Tone Fink

(einige Anmerkungen) fuer Tone Fink (2./3. Juli 2000)

 

Sehr geehrte Damen und Herren! Gezeichnete Alpträume mit (Hinter-) Witz: von weitem scheint hier, in seinenZeichnungen, aber auch deren Titeln, etwas von Herzmanovsky- Orlando‘schem Geist nachzuklingen, gewissermassen mundartlich gefiltert, muss man hinzufuegen, ich spreche von Tone Fink in den späten siebziger Jahren, von seinen heiligen Monstrositäten, Hieronymus-Bosch-artigen Hybriden, den kopulierenden und sich entleerenden Tieren und Menschen, den Höllenstürzen und Eiterbeulen. Wir begegnen einer zeichnerisch virtuos in Szene, oder sollte man sagen: ausser Raison gesetzten Ikonographie, einer mitunter verschwenderischen ästhetik des Grotesken, die man, wollte man sich Umwege ersparen, mit psychologischen Termini wie Regression, Abreaktion etc. zu kommentieren geneigt sein koennte. Im gleichen Atemzug liesse sich allerdings fragen, weshalb es eigentlich das „Pathologische“, das „Zwanghafte“ im Werk eines Künstlers ist, das uns offensichtlich und in erster Linie interessiert?

Natürlich, es ist wenig dagegen einzuwenden, das inhaltliche Repertoire, die formale Aufladung der Zeichnungen Finks – wenn man sie auf biographischem Niveau reflektiert – als Abarbeitung einer Herkunftsneurose zu verstehen. Man könnte sagen, Fink verfolgt einen Exorzismus eigener Art. Er zeichnet sich mit seinen skurrilen Apokalypsen sozusagen die bäuerlich-katholische Enge, die gesammelten bösen Bregenzerwälder Disziplinierungsgeister seiner Kindheit und Jugend vom und aus dem Leibe. Bezeichnenderweise trägt ein Buch mit Zeichnungen aus dieser Zeit (ironisch verdreht) den Titel „Pandämonium (Höllenfahrt von Schwarzenberg nach Wien)“, und damit hat er wohl das beste „Label“ für seine Kritzel- und (Papier-) Verletzungsorgien selbst geliefert. Freilich ist (oder war) er nie ein typischer „Angry young man“, dafuer ist zu viel Schalk und Ironie, mit anderen Worten: eine vitale Form der Distanz, mit im grausamen Spiel zwischen Himmel und Hölle.

In seinen „Vorlesungen über die Ästhetik“ konstatiert Hegel, dass die Haupttätigkeit des Künstlers, der auf den Humor setze, darin bestünde, „alles, was sich objektiv machen und eine feste Gestalt der Wirklichkeit gewinnen will oder in der Aussenwelt zu haben scheint, durch die Macht subjektiver Einfälle, Gedankenblitze, frappanter Auffassungsweisen in sich zerfallen zu lassen und aufzulösen.“ Und weiter heisst es, die Darstellung sei in diesen Fällen „nur ein Spiel mit den Gegenstaenden, ein Verrücken und Verkehren des Stoffs sowie ein Herüberundhinüberschweifen, ein Kreuzundquerfahren subjektiver Äusserungen, Ansichten und Benehmungen.“ Die eben zitierten Passage des preussischen Philosophen, der den Humor nicht nur in der Kunst verachtete, will gegen den Strich gelesen werden, sie trifft ganz wunderbar den Kern des Fink‘schen Unternehmens der letzten dreissig Jahre – auch ohne ihn in die Ecke des Humoristen zu stellen: Verrücken und Verkehren, Herüberundhinüberschweifen und Kreuzundquerfahren.

Wenn wir Charles Baudelaire glauben wollen, der einmal gemeint hat, „die reinen Zeichner [seien] auf Abstraktionen bedachte Philosophen und Erzeuger von Quintessenzen“, dann ist Fink sicherlich das exemplarische Gegenteil dieses Typus‘. Er zählt zu denjenigen, die man nicht anders als mit dem Wort „Vollblutzeichner“ charakterisieren kann. Jenes Mass an Abstraktion und Quintessenz, das auch die Kunsthistoriker – über Baudelaire hinaus – so gerne und ganz allgemein mit der „Zeichnung“ (aber auch der Bildhauerei) in Verbindung bringen, gehärt nicht zu seinen Kategorien, zumindest nicht zu seinen primären. Zu hypertroph, zu physisch manifestiert sich in der Regel seine Zeichenwut. Daraus lässt sich jedoch keineswegs folgern, dass es an Zwischentönen, Feinheiten fehlen würde, ein Zeichenwütiger ist nicht notwendig einem Zeichenberserker gleichzusetzen. Im Gegenteil: Tone Fink hat sich, seit seiner Akademiezeit, innerhalb weniger Jahre geradezu zu einem „doctor subtilis“ der Zeichenkunst entwickelt. Die Abbruchhäuser, Strassenfluchten, Landschaften, Akte und Portraets zwischen 1965 und den beginnenden siebziger Jahren nehmen sich – bei aller nicht zu übersehenden handwerklichen, akademischen „Gefinkeltheit“ – im Vergleich dazu noch wie ein Aufwaermtraining, ein Probelauf aus. Was sich in seinen frühen Werken, Zeichnungen wie Radierungen, in dem manchmal geschmeidig-flüssigen, meist stacheligen, gefurchten, nervoesen Wuchern und Vibrieren der Kritzelstriche anzudeuten, auszuformen beginnt, explodiert schliesslich in einer Ausdifferenzierung der Mittel, die ein ungewöhnlich breites Spektrum zeichnerischer Hoehen- und Tiefenlagen abdeckt.

In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hat sich Tone Fink, summarisch gesagt, mehr und mehr der Malerei, dem Objekt (oder der Plastik, wenn man so will) zugewandt. Und es mag leicht der Eindruck entstehen, als hätte sich damit der obsessive, mitunter barocke Furor seiner Pandaemoniums-Zeit erledigt, als sei Fink in sublimere Zonen ab- oder emporgetaucht. Keine Frage, diese Beobachtung hat ihre Richtigkeit, doch ist sie zumindest trügerisch. Nach der Mitte der achtziger Jahre sehen wir uns zunehmend mit Monochromie, einem dominierenden, ruhigen Weiss, mit klaren, plastischen Formen konfrontiert. Man könnte vermuten, man hätte es mit dem Werk eines postminimalistischen Künstlers zu tun – auch unter der Voraussetzung, dass ein derartiges Adjektiv mit Vorsicht zu gebrauchen ist. Die Sache wird wahrscheinlich klarer, wenn die Bögen und Kontinuitäten berücksichtigt werden, die Finks Werk von Anfang an durchziehen. Das mutmasslich Transversale ist nämlich zurückgeknüpft in das Gewebe seines früheren Werks. Ich denke dabei an die Art und Weise, in der er den Zeichenuntergrund – die Druckplatte, das Papier – behandelt, er ist, und das ist wörtlich zu nehmen, Ort der „Einschreibung“ oder, um es sonstwie zu formulieren: der „Einzeichnung“ (im Unterschied zur Aufschreibung bzw. Aufzeichnung). Ich möchte diese Uberlegung etwas präzisieren.

Im folgenden Passus aus einem Essay, den Roland Barthes über Cy Twombly geschrieben hat, finden wir einen geeigneten Anhaltspunkt: „Der Strich – jeder aufs Blatt hingeschriebene Strich – verneint den wichtigen Körper, den fleischigen Körper, den saftigen Körper; der Strich gibt weder zur Haut noch zu den Schleimhäuten Zugang. Was er sagt, ist der Körper, sofern er kratzt, streift oder gar kitzelt; durch den Strich deplaziert sich die Kunst; ihr Brennpunkt ist nicht mehr das Objekt des Begehrens (der schöne im Marmor erstarrte Körper), sondern das Subjekt dieses Begehrens: der Strich, wie geschmeidig, leicht oder unsicher er auch sein mag, verweist immer auf eine Kraft, eine Richtung; er ist ein energon, ein Arbeiten, das die Spur seines Triebes und seiner Verausgabung lesbar macht.“

Was der Strich sagt, ist der Körper, er ist ein energon, Triebspur, das lässt sich auch auf Fink anwenden. Am auffälligsten wird dieses Prinzip am Beispiel seiner „Papierverletzungen“, in denen er, mit wechselnder Intensität, Zerkratzungs-, Aufkratzungs-, Aufreiss- und Durchlöcherungstechniken anwendet, gegen das, und mit dem Papier, gegen den, und mit dem Untergrund. (Das Komplement dazu ist dann das wieder Zukleben, Überkleben ...) Dafür ist Fink mindestens so bekannt wie für seine Exkursionen ins Reich der Dämonen, es ist gewissermassen sein zweites Label. Aus dem Kritzeln und Stricheln, das von Anfang an seine Handschrift war, folgt also der Schritt zum (Zer-) Kratzen, (Zer-) Reissen; es handelt sich sozusagen um die körperlich forcierte Form der Einzeichnung, die ins physische gewendete Form der symbolischen Abreaktion, der Geistervertreibung. Der Untergrund funktioniert nicht mehr als konventioneller „Bild-

Träger“, sondern als „Material“. D.h., die in der Graphik übliche Wechselbeziehung zwischen dem graphischen Strich und dem „Weiss“ des Papiers verkehrt sich in eine zwischen dem Strich und der „Materialität“ des Papiers. Das Papier selbst wird zum Körper, wird energon.

„Papierverletzungen“: Eine verführerische Bezeichnung!, eine Bezeichnung, die, so glaube ich, eine zweifelhafte Assoziationskette evoziert, nämlich: Papierverletzung ist gleich Hautverletzung ist gleich Verletzung des Subjekts. (Sie entspricht der oben angeführten psychologischen Interpretation des Fink‘schen Pandaemoniums: sie ist weder falsch noch besonders aufschlussreich.) Ich möchte auf etwas anderes hinaus, das allegorische Verhaeltnis zwischen diesen beiden Formen der Verletzung liefert tatsächlich weit weniger Stoff, als die mit diesem Ansatz verbundene Ästhetik sowie die „bildhauerischen“ Konsequenzen, die Fink aus dieser Form der Papierbehandlung zieht.

Bereits in seinen Filmen ab Anfang der achtziger Jahre, z.B. in „Narrahut“, tauchen aus Draht und Papier gefertigte Masken, Tiere, Figuren ... auf, sie lassen sich noch leicht im Kontext der damaligen Zeichnungen verstehen, über die Papierverletzungen und diese Papierfiguren gelangt er zu sehr reduzierten und primaer auf haptische Werte berechneten Papierarbeiten: Tast- und Greifformen. Erstere werden etwa in gewissen jüngeren Leinwandarbeiten, mit ihrem all over von Acrylzäpfchen, weiter ausgebildet. Hier und in den „Greifformen“ steckt ganz klar der Ansatz des bildhauerischen Konzepts von Fink. Es handelt sich im wesentlichen um ein auf „Agieren“ ausgerichtetes Unternehmen, das performative Moment ist seiner „Objektkunst“ inhärent, der Betrachter sieht sich veranlasst (und das ist die postminimalistische Perspektive), seinen traditionellen Betrachterstatus aufzugeben. Er soll seine „Einstellung“ – im Sinne eines auf ein Objekt fixierten Augenpaars, also des klassischen Voyeurismus‘ – transzendieren, sich als körperliches, als ein auf zwei Beinen sich bewegendes, sich im Raum orientierendes Wesen verstehen bzw. verhalten. Er tastet, greift, greift ein, läuft, fällt, steht auf, wechselt die Position. Und genau dafuer sind die Objekte Fink‘s „hergestellt“ und gedacht, und nicht zufällig sind sie häufig mit Rädern, mit Rollen ausgestattet (selbst die Stühle, die Liegen sind beweglich) – und damit eben für den Gebrauch vorgesehen: Verrücken und Verkehren, Kreuzundquerfahren ... wir erinnern uns. Was fahren kann, soll fahren, was sich bewegen kann, soll sich bewegen. Wir sind aufgefordert, die Objekte zu benutzen. Kunst als Leben, Leben als Kunst. Und Fink macht es uns in seinen Performances vor (im übrigen dreht es sich in seinen Filme der achtziger und neunziger Jahre vor allem anderen um Performances), sie sind gleichsam „Vorschläge“, sie sind ein Probehandeln, Appell.

Sehr geehrte Damen und Herrn, das waren meine kurzen Anmerkungen zu Tone Fink. Müsste ich sie in einem Satz zusammenfassen, würde ich Yves Bonnefoy herbeizitieren, und zwar mit folgendem: „Zeichnen, entzeichnen. Das Siegel zerbrechen, den Umschlag oeffnen – doch er bleibt verschlossen.“ Hier, auf, um und in diesem Satz, so denke ich, könnte sich Tone Fink, wenn schon nicht angekommen, so zumindest doch auf benachbartem, verwandtem Grund gelandet fühlen.

TONE FINK

Ton(e)Arten. Wer formt, muss um sein Leben formen, es geht im Werk ums Ganze. Da die Kunstarbeit mir wahnsinnig Spass macht, muss mein Schaffen wohl was „gleich“ schauen. Die Körperlichkeiten passen, wenn sie nicht zu Publikumsangepasst reagieren. Auch wenn es rund geht, kann man anecken. Im Prozess des Suchens ist Zweifel, Widerspruch,

Sehnsucht eingeräumt. Kunstformen heisst, sich selber mitformen. Ich versuche nicht direkt politisch tätig zu sein, sondern an der Veränderung von Wahrnehmungsweisen zu arbeiten.
Ich versuche meinen Weg zu finden u. den Zug des Lebens zu spüren. Beim Standpunkte einnehmen muss „das Rad“ nicht zum stehen kommen.

Ich erfind(k)e Dinge, die ich mag. Die Reaktion auf die Kunst ist das eigentliche Feld der Kunst. Kompos(t)ition u. innerer Anklang sind für Kunstwerke auch wichtig. Das, was man als schön bezeichnet, entsteht in der Regel aus der Praxis des täglichen Lebens heraus.

Agnes Martin sagt: „Wir sind stets rastlos, wenn wir uns nicht gemäss innerer Begabung vorwärtsbewegen. Unsere Orientierung heisst Eingebung. Vom Tod ins Leben kämpfen. Das Kunstwerk ist ein Lob der Wirklichkeit des Positiven. Nicht anständig aber eigenständig das Leben (mit der Kunst) voranbewegen. Die Eingebung entfaltet die Begabung. Viel allein sein und nicht zu viele Schosstiere pflegen. Steckt das Auge „im Durcheinander“, dringt dein Inneres nicht zu dir durch. Den Lebenszweck in der Kunst jede Minute wirksam machen. Die tiefe und fatale Fallgrube in der bildenden Kunst und im Leben ist die Abhängigkeit vom Intellekt statt von der Eingebung. Aus der Eingebung leben ist
Lebenskunst.

Agnes Martin: „Kunst ist auch Leben aus dem Nichts (Tod) zu schaffen.
Konzepte, Beziehungen, Kategorien, Klassifikationen, Deduktionen sind für unseren Geist, den wir für Eingebung offen halten wollen, nur Ablenkung. Seinem inneren hingeben und veräusserlichen mit tiefem Blick. Wir machen Kunst als etwas, das wir tun muessen, ohne zu wissen, wie es herauskommt.“

Ich versuche, mit oft waghalsigen Kraft- u. Koerperspielen, anzuregen u. Neuschaffen, indem ich den Karren immer wieder aus dem Dreck ziehe. So nehmen einfache Dinge in der Vorstellung Form an. Eine unbekannte Wirklichkeit wird mit dem Publikum so oder so in Erfahrung gebracht.
Die eisernen Knochengerüste werden mit Papi(e)rrener Nervenhaut eingefleischt. Die Oberfläche bleibt nicht mehr länger Materialroh, sondern bekommt einen zum Wesen passenden Farbmantel. Meine Spielbaelle sind Gestaltfinkungen, Formfindungen, vorführend, verführend.
Steig auf mein Fuhrwerk!


Seinen Instinkt
den sechsten Sinn
ausfindig machen
für die Kräfte der Erde

Es ist schade, wenn man
einen menschlichen Körper
ein Leben lang umsonst
ermüdet.


„Wenn du es verstehst (spürst), sind die Dinge genau wie sie sind, wenn du es nicht verstehst (spürst), bleiben die Dinge genau, wie sie sind.“
Bei mir bedeutet Kunst auch eine Wiederentdeckung der Kindheit. Bin unterwegs auf Erfahrung, ohne im Kreis zu gehen, mit Aussersich(t) geraten. In entdeckendem Vorwärtsgang mit dem Kunstwerk Material richtig umgehen. In allen Künsten ist technische Fertigkeit eine Gefahr, so wie im wirklichen Leben.
Tone Fink, Wien im Mai 2000